Der Nachttörn
Eine ganze Woche hat es gedauert bis der Wind endlich von östlicher Richtung kommt und wir der Südküste von Norwegen weiter Richtung Westen segeln können. In der Zwischenzeit ist auch das Getreide angekommen und wir haben die Zeit genutzt den Service an unseren Motoren vorzunehmen. Das Zeitfenster ist zwei Tage, dann kommt der Wind wieder aus Westen.
Die möglichen Ankerplätze sind bis zu unserem „Fernziel“ Stavanger abgesteckt. Für den ersten Tag ist 40sm und für den zweiten ca. 60sm geplant. Dann sind wir in einer schönen Bucht, in der wir geschützt sind vor den starken Westwinden, die ab dem dritten Tag angesagt sind.
Wir segeln mit achterlichen Winden mit Klüver und Grosssegel. Es läuft wie geplant. Dann ist der Ankerplatz querab, 6sm entfernt. Die Sonne ist gerade untergegangen. „Wollen wir einfach weitersegeln?“ David spricht die Frage aus, die auch in meinem Kopf seit ein paar Stunden ist. Wir prüfen die Wetter- und Windvorhersage und errechnen die geschätzte Ankunftszeit am nächsten Ankerplatz. Der Wind ist leicht zunehmend und kann bis 25kn in der Nacht gehen. Aber irgendwie glauben wir nicht daran. Die Witterung ist trocken. Ein grosser Vorteil, denn für den nächsten Tag sind viel Regen und Windstärken bis 28kn angesagt. Die wichtigste Frage: sind wir fit? Ich bin so aufgeregt, dass ich die Müdigkeit wahrscheinlich nicht merke. Aufgeregt vor unserem Nachttörn, vor der Verantwortung und das Freiheitsgefühl einfach weiter Richtung Westen zu segeln. David ist noch sehr müde von den Vorbereitungen der letzten Tage. Die Entscheidung ist getroffen, wir nehmen Kurs weiter westlich und lassen den ursprünglich geplanten Ankerplatz hinter uns.
In der Dämmerung reffen wir das Gross ein um für die Nacht nicht übertakelt zu sein. Wir nehmen etwas Abstand zum Land, dass wir in Tiefen zwischen 200-400m segeln und damit hoffentlich keine Fischerbojen mehr antreffen.
David legt sich hin. Ich schaue anfangs gefühlt alle paar Sekunden auf die Instrumente. Ganz weit weg am Horizont treffen die letzten sichtbaren Sonnenstrahlen auf Wolken. Dazwischen die silbern-glänzende Wasseroberfläche mit einzelnen Schaumkronen. Die rötlich-orangenen Farben der spiegelnden Wolken sind von der Dunkelheit verschlungen worden und warten darauf bis sie am nächsten Morgen wieder tanzen können.
Ob ich auch Kirchenglocken höre, fragt David aus der Achterkabine. Nein, da waren keine Glockengeräusche. Was das wohl sein konnte? Im Innern des Bootes und draussen konnte ich kein besonderes Geräusch hören. Vielleicht hat er es geträumt, doch er ist wach und hört es immer noch. Ich erzähle, dass ich den Radar eingeschaltet habe um die Umgebung kurz zu scannen. Um sicher zu sein, dass neben den beiden Frachtschiffen weit weg nichts Kleines in unserer Nähe ist. Ja genau, dass müssen die „Kirchenglocken“ sein. Etwas regelmässig wiederkehrendes und eigentlich kaum wahrnehmbares.
Nach dem ich den Blick über den Bug aufgegeben habe, weil es einfach zu dunkel ist um irgendetwas erkennen zu können, lerne ich sitzend im Cockpit Norwegisch und Englisch während ich immer wieder die Instrumente überwache und ab und zu nach vorne zu schauen und dort doch nichts zu sehen.
Mitten in der Nacht kommt David ins Cockpit, schaut in die Dunkelheit der See und entdeckt das Highlight: Leuchtender Plankton. Die Aroha fährt durch aufleuchtende Wellen und zieht ein weit leuchtendes funkelndes Kielwasser in die See. Einfach magisch.
Er wundert sich, dass ich es nicht schon lang entdeckt habe. Doch wie sich zeigt, ist der Plankton nur kurz in dieser Intensität sichtbar. Ich gehe schlafen bis mich David morgens kurz vor Sonnenaufgang weckt. In ca. 2h ist Landfall. Über dem Land hangen viele Wolken und wir hoffen uns noch vor dem Regen am Ankerplatz einrichten zu können. Der Wind frischt deutlich auf. Während es die Nacht durch zwischen 15-19kn gewesen sind, zeigt der Windmesser nun Böen bis 30kn an. Mit achterlichen Winden von 30kn und immer steiler werdendem Seegang rauschen wir auf die Küste zu und fragen uns, wo wir genau durch müssen. Unsere beiden Seekarten, die wohl bemerkt beide aktuell sein sollen, zeigen unterschiedliche Betonungen an, was die Orientierung erschwert. Doch je näher wir kommen umso besser merken wir, welche Karte die richtigen Seezeichen zeigt und wo wir lang fahren müssen.
Wir bergen das Gross, was wir bei weniger Wind auch schon ordentlicher geschafft haben, und fahren unter Motor in die lang gezogene Bucht und suchen den besten Ort um den Anker einzugraben.
Ankerball aufhängen und Kettenkralle montieren und da kommt der Regen. Das ist ein perfektes Timing. Wir sitzen im Salon und beobachten unsere neue Umgebung in der wir ein paar Tage sein werden und überlegen uns was wir als nächstes Essen. Das ist während dem Segeln in der Nacht zu kurz gekommen. Trotz der Nacht die wir gesegelt sind, sind wir erstaunlich fit, kochen, waschen das Deck, was sich bei dem Regen anbietet und räumen das Schiff auf.