Segeln als Lernfeld von körperlichen und mentalen Herausforderungen.
Heute spüre ich (Julia) eine Müdigkeit vor allem in den Beinen. Während dem Segeln ist der Körper permanent am Ausbalancieren, ob im Sitzen oder im Stehen. Dafür haben wir auch unsere Hängematte, die wir bei längeren Passagen gerne nutzen.
Das Ankerlichten birgt heute eine besondere Überraschung. Der Anker liegt auf 36m Tiefe. Wir hören, dass die Ankerwische eine ziemliche Last zieht. Als der Anker kurz unterhalb der Wasseroberfläche ist, sehen wir grosse Erdstücke, fast wie Steine liegen auf dem Anker. Mit dem Bootshacken finden diese den Weg zurück in die Tiefe.
So fordert einem das Leben auf einem Segelschiff auf mentaler Ebene immer wieder aufs neue. Man weiss nie, was als nächstes passiert. Auch während dem Segeln rollen ständig Entscheidungen an, die manchmal innert kürzester Zeit getroffen werden wollen. Welchen Kurs um den Wind optimal zu nutzen? Was tun bei einem potentiellen Kollisionskurs? Welche Segelstellung? Was macht der Wind und die Strömung? Will die Segelfläche verkleinert werden? Welches Segel? Braucht es zusätzlich den Motor zur Unterstützung? Alles Fragen, die beantwortet werden wollen und die Handeln fordern.
Die heutige Passage führt uns teilweise durch die Dünung der Nordsee und teilweise durch sehr nahe bei einanderliegenden Inseln und Untiefen. Es ist ein sehr aktiver Segeltag, in dem wir mehrmals reffen (=Segel verkleinern), halsen und wenden. Ein wahrlich imposantes Lebensgefühl mit dem Segelschiff mit Rückenwind und Welle von hinten mit voller Fahrt durch die engen Felsen und Klippen zu rauschen, wo sich die Brandung laut tosend bricht. Momente, wo es die volle Konzentration erfordert. Das Schiff sicher durch die Untiefen zu steuern bei diesen stark auflandigen Winden, die das Schiff in Richtung Klippen schieben.
Abends laufen wir in eine Bucht ein, in der wir noch nie zuvor waren. Welche Beschaffenheit hat der Ankergrund? Wird der Anker in den nächtlich angesagten Sturmböen halten?
Die Einfahrt ist mit 50m Breite verhältnismässig schmal und so bleibt nicht all zu viel Aufmerksamkeit, die schönen Häuser zu bestaunen. Wir fahren in den hinteren Teil der Bucht, den wir am Vorabend als Ankerplatz ausgesucht haben, kein Haus ist hier in Sichtweite.
Final treffen wir die Entscheidung unser am Vorabend angedachtes Manöver mit zwei Ankern zu fahren. Das heisst, der 2. Anker muss irgendwie an die Kette befestigt werden. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen den 25 kg schweren Anker umzuhängen und an der Kette zu befestigen über dem Wasser. Aber irgendwie muss es gehen und so finden wir auch einen Weg bis die beiden Anker schliesslich nach einander an der Kette hängen und auf den Grund gelegt werden können. Sie halten uns verlässlich an Ort und Stelle als wir diese mit Maschine in Retourgang einfahren.
Einen sicheren Ankerpunkt zu haben bedeutet, sich entspannen und anderen Dingen widmen zu können. So geben wir gerne viel Kette oder sogar einen zweiten Anker aus, auch wenn dies wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht nötig wäre. Es bedeutet ein vermeintliches Stück Sicherheit. Eine Sicherheit, die einem erlaubt immer wieder in neue Gewässer vorzudringen.
Wo liegt dein Ankerpunkt, der dir Kraft schenkt in neue Gewässer vorzudringen?